11:00-20:00 Hofsaal, Künstlerhaus
Sophienstraße 2, 30159 Hannover
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Dauer im Künstlerhaus: 25.05.- 29.05.2023
Midissage: Sa 27.05.23, 15:00
Nach Paulus ist uns allen die Möglichkeit gegeben, nach Christi Geburt in der Zeit der Gnade zu leben. Und die Gnade entzieht sich in jeder Religion menschlichen Berechnungen, sie ist nicht ganz vom Menschen: machbar, vorhersehbar, automatisch abrufbar, wie „per App“. Die Gnade steht für einen qualitativen Sprung, ein Sakrament und wirkt strikt persönlich und nur dadurch, von unten nach oben, auf die Gemeinschaft.
Überall ist Gnade. Aber sie setzt schon eine Haltung voraus.
Wie ein Geschenk, bzw. eine Resonanz der Gottesliebe braucht sie eine demütige Haltung, Dankbarkeit und Frieden, um empfangen zu werden.
Und diese Haltung setzt noch voraus: darum zu bitten, ihren Mangel zu erkennen, die Gewissheit seiner eigenen Grenzen, Demut, Gelassenheit, Respekt und Pflege des inneren ursprünglichen Göttlichen im Menschen, die Fähigkeit zu unterscheiden, wann es richtig ist, etwas zu tun oder zu „lassen“.
Gnade braucht einen schon bestehenden leeren Raum.
Es geht auf diese Weise eher um eine passive Hingabe, wie bei den Leidenschaften, als um eine positive Aktion, eine Handlung.
Wir, als moderne Menschen, tendieren dazu, die Gnade zu übersehen oder sie einer ungerechten Kritik zu unterziehen. Die Gnade wird nicht mehr gesehen und gespürt, weil der einzelne Mensch, wie seine Gemeinschaft, heute Geschenke nicht mehr verstehen.
Heute zählen nur Leistungen und Gegenleistungen.
Wir kommen uns, wenn wir auf die Gnade warten, wie entmündigt und beleidigt vor, als ob wir nicht in der Lage wären, selber zu erkennen und zu realisieren, was für uns heute und morgen gut ist.
Und es geht noch weiter. Wie auf ein Geschenk, so hat niemand ein Recht auf Gnade. Man kann sie nicht einfordern: wir dagegen haben uns daran gewöhnt, nach Gerechtigkeit zu schreien und Kataloge von Rechten einzuklagen. Der Mensch, der sich in der Aufklärung in vielen seiner Fähigkeiten als mündig entdeckt hat, bleibt blind gegenüber dem, was für ihn/sie gut ist.
Er/sie bräuchte andere Augen, Augen des Herzens.
So kommen wir zu dem Paradox: genau jetzt, wo wir uns die Zeit der Gnade gönnen könnten (nach der Zeit unter dem Gesetz), möchten wir darauf verzichten, möchten wir lieber etwas sicher durch Werke und Glauben selber verdienen, anstatt ein Geschenk von Oben anzunehmen.
Wir vertauschen ständig Leben mit Arbeiten und – eingetaucht in die Dimension des Werdens – anerkennen und schätzen wir uns gegenseitig nur als Homo-Faber, für die Früchte unserer Arbeit. Wir glauben viel zu viel an unsere Maschinen, an ihre Messungen und an die Wirkung unserer Handlungen, die dann automatisch, in der Dauer, versagen und gerade das Gegenteil dessen erreichen, was wir uns damit vorgenommen haben.
Die Bibel ist die Sammlung von Erfahrungen der Anwesenheit und Abwesenheit von Gnade.
Der Gruß der Engel über der Krippe in Bethlehem zeigt den Eintritt der Menschheit in die Zeit der Gnade und lautet: Frieden sei den Menschen von gutem Willen!
So liest man auf dem Reigen der Engel im Gemälde „Die mystische Geburt“ von Sandro Botticelli (National-Galerie, London). Und das Bild weist auf die Geburt der Seele im Menschen hin, mehr als auf die Geburt Christi. Damit wird unterstrichen, dass das „Heiligste“ im Menschen nicht vom Menschen selber kommt, sondern in der Seele dafür Platz gefunden werden muss. (Plotin und Meister Eckhart sprechen hier vom Seelengrund.)
Dann kann der „Wille Gottes“ geschehen, was sich jedem menschlichen vorgefertigten Modell entzieht, schwer anzunehmen, im Mysterium des Gebets des „Vaterunser“ wie in der ersten Sure des Korans – den revolutionärsten und unbequemsten Manifesten, die es je gab.
Der Wille Gottes und der Wille des Menschen haben schon im Mittelalter Dispute ausgelöst, zwischen al-Ghazzali und Thomas von Aquin über die Kausalität Gottes. Dass Gnade dem Menschen guttut, dass sie den Frieden bringt, das kann man nur im nachhinein, in der Dauer sehen. Aber haben wir überhaupt noch Geduld zu warten?